Norwegen stößt Atom-Franzosen vom Thron

Bisher war Frankreich mit seinen vielen Atomkraftwerke stärkster Netto-Exporteur an Strom. Doch 2020 kam die Wende und Norwegen machte den Franzosen ihren Platz streitig. Das ungewöhnlich nasse Wetter in der zweiten Jahreshälfte gab der Wasserkraft neuen Auftrieb. In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres hat Norwegen rund ein Fünftel seines erzeugten Stroms exportiert. Damit konnte Norwegen Frankreich als größtem Stromexporteur Europas überholen.
Norwegische Wasserkrafterzeuger mussten in der zweiten Jahreshälfte ihren Durchsatz erhöhen, um zu verhindern, dass einige überfüllte Dämme während des ungewöhnlich nassen Wetters brechen, erklärt das Energieberatungsunternehmen Enappsys Ltd. gegenüber dem Nachrichtenportal Bloomberg. Gleichzeitig hatte Frankreich, Europas Atomkraftwerk-Meister, mit längeren Wartungspausen in einigen Kraftwerken aufgrund der Covid-19-Pandemie zu kämpfen.
„Die norwegischen Strompreise blieben niedrig, was es für andere Länder wirtschaftlich attraktiv machte, ihren Strombedarf zu decken, indem sie einen Teil des Überschusses aus Norwegen abnahmen“, erklärt Alena Nispel, Analystin bei Enappsys. Norwegens Führungsposition“könnte für einige Zeit bestehen bleiben, vor allem, da Nachbarländer wie Dänemark auf die Lieferungen aus Norwegen angewiesen sind.“
Der Überschuss an Strom aus Wasserkraft führte dazu, dass Norwegen über kurze Zeiträume einige der niedrigsten Strompreise weltweit hatte. Der Stromexport wird umso beeindruckender, wenn man Norwegens hohen Stromverbrauch mit einbezieht: Das Land ist nicht nur das erste Land weltweit, in dem mehr elektrifizierte Autos als Verbrenner verkauft wurden, sondern arbeitet auch daran, weite Teile der Industrie sowie die Heizungen in norwegischen Heimen zu elektrifizieren. So hatten die insgesamt fünf Millionen Norweger etwa den gleichen Verbrauch wie das Nachbarland Schweden, das mit zehn Millionen Menschen doppelt so viele Einwohner hat.
Deutschland war 2020 als Knotenpunkt für den Energieaustausch in Europa sowohl der größte Brutto-Exporteur als auch Brutto-Importeur von Strom. Seit Dezember tauscht das NordLink-Kabel, eines der längsten See-Stromkabel der Welt, Strom zwischen Norwegen und Deutschland aus. Angesichts der aktuell niedrigen Strompreise in Norwegen könnte das Kabel in den nächsten Jahren noch weiter an Bedeutung gewinnen.